Borkum 100 Jahre Meeresheilbad
100 Jahre Nordseebad Borkum
Die Geschichte der Seebäder reicht nicht weit zurück. Erst ab 1800 etwa wird die deutsche Küste mit ihren Inseln nach und nach dem Erholungsverkehr erschlossen. Infolge der weit in das Meer vorgeschobenen Lage im Zusammenhang mit den damaligen Übersetzschwierigkeiten wird Borkum verhältnismäßig spät für den Bäderverkehr entdeckt. Um 1830 weilen die ersten Emder Familien zur Kur auf der Insel, die 10 Jahre später 60 bis 80 Sommergäste zählt. Die sich anbahnende große Entwicklung wird von den Insulanern nicht erahnt. Anfangs von der Inselbevölkerung keineswegs mit offenen Armen aufgenommen, müssen die Gäste selbst für den Anstoß der neuen Entwicklung sorgen. So führen sie in den ersten Jahrzehnten allen Bedarf für Wohnung und Bad mit sich, wie Betten, Kochgerät und Geschirr, Lebensmittel und Badezelte. Die ersten Badereisen gleichen einem Umzug, und das bei der schwierigen Überfahrt mit Segelbooten!
Wie auch anderwärts die Gründung und Entwicklung der Seebäder vor allem durch vereinzelte ärztliche Pionierarbeit voran getragen wird, so leistet für Borkum der Chirurgus Ripking bahnbrechende Arbeit. 1846 kündigt er in der Ostfriesischen Zeitung an, daß er während der Badesaison in seinem Hause auf der Insel kränkliche Knaben aufnehme, die an Scrofulose und ähnlichen Übeln leiden, - für 3 Taler wöchentlich. 1849 übernimmt der Landchirurgus Rohde die Arztstelle, die Entwicklung des jungen Bades planmäßig fortführend. 1850 veröffentlicht er in der Ostfriesischen Zeitung eine Beschreibung der Insel und der Badeverhältnisse, wo es zum Schluß heißt : ,,Hier lebt man für wenig Geld gut und und ungeniert ; hier fühlt man den Druck der sogenannten Etikette nicht; hier kleidet sich ein jeder, wie es ihm beliebt; hier haben Nachtmütze, Schlafrock und Pantoffeln mit Hut, Frack und Stiefeln gleichen Wert; hier gilt gottlob ein nicht geschorener Bart. dem glattrasierten Kinn völlig gleich." Zugleich erscheint 1850 die erste offizielle Kurliste. Sie weist 255 Besucher aus.
Damit geht die erste Zeit tastender Entwicklungsversuche zu Ende. Im Jahre 1850 tritt Borkum offiziell in den Kreis der Nordseebäder ein, ein Ereignis, das sich nun zum 100. Male jährt.
Die nächsten Jahre bringen statt 14tägiger Verbindungen einen Wochenverkehr abwechselnd von Emden und Greetsiel aus. Im Zuge der heutigen Strandstraße wird aus Rasenstücken ein Weg zum Weststrand gelegt, zu seiner Unterhaltung und zur Bewachung der Badezelte ein Aufseher angestellt. Die Ostfriesische Landschaft gibt 1852 eine Beihilfe von 50 Talern für ein Badezelt am Herrenstrand. Zur Unterhaltung der Gäste entstehen ein großes Sommerzelt und eine Kegelbahn. Rohde ist wie bisher die treibende Kraft. 1854 zeichnet er als Vertreter der Badekommission, einer Einrichtung, von der heute wie vor 100 Jahren die maßgeblichen Entscheidungen für das Badeleben auf Borkum ausgehen.
Ein bedeutender Aufschwung schließt sich an das Jahr 1856 an, als Emden Eisenbahnanschluß von Rheine aus erhält, womit Verbindung nach Hanno-ver, Westfalen und dem Rheinland hergestellt ist. Nun kommen auch Nicht-Ostfriesen nach Borkum. Mehr und mehr „Dütske“ sieht man unter den Badegästen, für die jetzt etwa 200 Quartiere zur Verfügung stehen. Von den Gästen des Jahres 1856 sollen 500 im Meer gebadet und insgesamt 12 000 Seebäder genommen haben. Noch 1857 beklagt Rohde die Schwierigkeiten bei der Versorgung der Gäste denn, ,,haben sie Kochtopf und Löffel nicht mitgebracht, sind sie nach wie vor schlecht dran". Und selbst die Gäste, die einen Tischplatz im großen Zelt von Visser bekommen haben, beschweren sich über engen Tischraum und tropische Hitze.
Die eigentliche Gastronomie tritt im Jahre 1860 auf den Plan. Der Gastwirt Köhler übernimmt einen Gasthof, das heutige Dorfhotel am alten Leuchtturm, wo er Table d'höte einrichtet. Einige Jahre später baut er auf der Randdüne die „Giftbude", das erste Strandlokal, zugleich Ausgangspunkt für den nach und nach entstehenden Großbau des Strandhotel Köhler.
Bald nach 1860 bringen neben den bisherigen primitiven Badezelten transportable Badekutschen für Damen und Herren Abwechslung in das Strandbild. Ein Badewärter wird eingestellt und die Badezeit durch Aufhissen einer Flagge angezeigt. Unter rühriger Leitung von Rohde, der auch weiterhin schriftstellernd die Werbetrommel schlägt, geht es stetig voran. Eine feste Strandlinie wird ab 1869 mit den ersten Buhnenbauten und 1874 mit einem Pfahlwerk von 500 m Länge geschaffen, dem bald der Bau und die ständige Erweiterung der Strandmauer folgt. Wenn auch 1865 die Gästezahl erstmalig die 1000 überschreitet, so wird ein bedeutender Aufschwung erst mit dem. Jahre 1888 möglich, als der Bau der Landungsbrücke und Inselbahn eine entscheidende Verkehrsverbesserunq schafft. Auch die Propaganda verläßt das Stadium der Gelegenheitsarbeit und kommt in regelmäßige Bahnen. Aus dem Jahre 1880 ist uns der erste „Prospect des Nordseebades Borkum" überliefert, ein 4 seitiges, noch nicht mit Bildern versehenes Druckstück, herausgegeben von der Badekommission. Zu dieser Zeit können 700 bis 800 Badegäste in meist einstöckigen Häusern aufgenommen werden. Als Gasthöfe werden Bakker sen., Köhler und Bakker jun. genannt. ,,Die besseren Wohnungen sind tapeziert und mit Teppichen belegt" wird bemerkt. Zur Badeeinrichtung gehören 45 Badekutschen, Badezelte, Bänke, 40 Strandkörbe und 10 Hängematten, letztere für „solche Kurbedürftiqe, denen eine liegende Stellung, sei es in gesundheitlicher, sei es in anderer Hinsicht mehr paßt oder zusagt.“ Schon führen zahlreiche Stein- und Badewege durch Dorf und Dünen zum Strand. Der Wert warmer Seebäder wird frühzeitig erkannt. 1875 werden in der Giftbude am Strand 5 Zellen mit Porzellanwannen und Duschen eingerichtet, dazu Abreibekabinett und Wartezimmer. Ein eigenes Warmbadehaus mit einer 400 m langen Seewasser-leitung wird 1887 gebaut. Die Ausstattung besteht ursprünglich aus 17 Wannenbädern, einem Salonbad für mehrere Personen Abreibezimmer mit Duschen und selbst hier getrennten Warteräumen für Damen und Herren. Der Bau versieht nach mehrfacher Erneuerung zum Teil noch heute seinen Dienst, Ein neuer Flügel mit weiteren 14 Wannen wird 1894 erbaut, der nun auch Massage- und Ruheräume aufweist, dazu ein Lesezimmer.
Die Ankündigungen der Insel heben immer wieder den einfachen und Ungezwungenen Charakter des Badelebens hervor; Von musikalischer Unterhaltung hält man damals noch nichts. „Die Badeverwaltung“ hat keine Veranlassung, künstlich in die naturqemäßen Verhältnisse einzugreifen und beschlossen, eine Musikkapelle nicht zu engagieren, da der weitaus größte Teil der Badegesellschaft erfahrungsgemäß keine Musik will, im Gegenteil sich freut, einige Wochen von Musik verschont zu sein" (1890). Daß die "gute alte Zeit" offenbar auch nicht ganz ohne gewesen ist, wird uns 1898 mit modern anmutenden Worten vorgehalten: „Das nervenzerrüttende Leben und Treiben der Jetztzeit im Kampf ums Dasein stellt an den menschlichen Körper derartige Anforderungen, daß ihm nur wenige, besonders begnadete Naturen ohne Schaden für ihre Gesundheit nachkommen können." ,, Übertriebenen. Luxus und weitstädtisches Treiben gibt es hier nicht. Ungezwungenheit im geselligen Verkehr, Unterhaltungen und Vergnügungen in Einfachheit und ohne Aufdringlichkeit, vor allem aber Ruhe und Erholung - das sind die Hauptvorzüge: des Borkumer Badelebens" (1900). Die Entwicklung Iäßt sich indes nicht aufhalten. Ab 1902 konzertiert alljährlich eine Kurkapelle. 1901 war im Gebäude der heutigen Kurverwaltung eine geräumige Lesehalle eingerichtet worden. Ab 1904 gibt es ein Kurtheater.
Sprunghafte Aufwärtsentwicklung
Das Jahr 1900 hatte im Zeichen neuer öffentlicher Einrichtungen gestanden; alle Straßen erhielten Pflasterung und für 400 000 Mark wurde eine Was¬serleitung gebaut, während Kanalisation schon seit 1891 vorhanden war. Als schwarzes Jahr ist übrigens das Jahr 1899 in die Geschichte des Bades eingegangen; mit Ihm wurde eine Kurtaxe eingeführt, der ewige Stein des "Anstoßes im sonst so guten Vertrauensverhältnis zwischen Gast und Kurverwaltung.
Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts hatte eine sprunghafte Aufwärtsentwicklung gezeigt. Von 1890 bis 1900 erhöhte sich die Zahl der Fremdenbetten von 3 000 auf 6 000 (1914: 9 500), die Gästezahl von 6 000 auf. über. 16000. Mit dem Bau der großen Strandhotels erhielt Borkum, das typische Gesicht seiner monumentalen Seefront.
In der strengen Aufteilung des Badestrandes ist bis dahin seit Gründung des Bades hoch kein Wandel eingetreten. “Der Damen-Badestrand nebst daran angrenzendem Badestrand für Knaben von 1-9 Jahren ist ungefähr 1500 Schritte vom Herren-Badestrand entfernt, so daß immer ein großes neutrales . Gebiet zwischen beiden liegt." Unerwünschte Besucher werden durch große Schilder wie dieses aufmerksam gemacht: „Während der durch Flaggen bezeichneten Badezeit dürfen Damen den; Herren- Badestrand und die dahinter liegende Strandmauer nicht betreten!" Doch 1904 ist das Eis gebrochen. Von dem übrigen Badeverkehr vollständig getrennt, wird weiter südlich ein Familienbadestrand eingerichtet. Wegen des guten Zuspruchs werden die 50 Badekutschen 1906 verdoppelt. Zugleich wird in den Dünen ein Licht- und Luftbad angelegt. Damen- und Herrenbad bleiben aber noch bis lange nach dem ersten Weltkrieg erhalten. Heute stehen den Badenden in den Hallen des Südbades 363 Kabinen und im Nordbad 170 Badekarren zur Verfügung. Allerdings werden vielfach die Strandzelte zum Umkleiden benutzt.
Im Jahre 1902 wird wieder eine neue Entwicklung angeschnitten. Auf die Heilfaktoren der Insel war bisher nur am Rande hingewiesen worden. Wahrscheinlich ausgelöst durch den großen Erfolg einer ärztlichen Studienreise, die im Herbst 1901 - 256 Ärzte im Anschluß an eine „Naturforscher-Versammlung" von Hamburg nach Borkum bringt, nehmen nun in den Werbeschriften des Bades wissenschaftliche Erörterungen über den gesundheitlichen Wert einer Borkumer Kur breiten Raum ein. Auch „Heilanzeigen" werden erstmals veröffentlicht. 1902 wird ein großes Kinderheim eröffnet. Auf den besonders günstigen Heilwert des Juni und der Herbstmonate wird seit 1903 immer wieder hingewiesen. Seit 1905 lenkt man die allgemeine Aufmerksamkeit auf die unerreichte Heilkraft von Winterkuren. Eine beson¬dere Schrift „Borkum als Winterkurort" erscheint; das Warmbadehaus erhält Zentralheizung und bleibt im Winter geöffnet. Der Begriff des Nordseeheilbades ist so geschaffen, wenn es auch noch bis zum Jahre 1949 dauert, ehe der längst gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnis die staatliche Anerkennung erfolgt. Ab 1926 hält der Heufieberbund seine Jahreshauptversammlungen wiederholt auf Borkum.
Mit einer Großtat stellen weitblickende Männer, wie Bürgermeister Kieviet und Badedirektor Bakker, 1911 die Insel Borkum an die Spitze der deutschen Nordseebäder. Mit einem Kostenaufwand von einer halben Million wird vor den Strandhotels eine gedeckte Wandelhalle von 200 m Länge und 8 m Tiefe und davor, auf der Strandterrasse, ein weitläufiger Konzertplatz mit Musikpavillon angelegt. Diese einzigartige Anlage mit ihren großräumigen Fenstern, die 2000 Personen geschützten Aufenthalt bietet, enthält zugleich noch Leseraum, Schreibzimmer, Ausstellungsräume und eine große Trinkkurhalle, die 1935 für Meerwassertrinkkuren als erste an der Nordsee eingerichtet wird. Abschließend wird die Wandelhalle im Jubiläumsjahr 1950 Zentralheizung erhalten, wodurch der Aufenthalt an einzelnen feuchtkalten Sommertagen, vor allem aber in der Früh- und Spätsommersaison und auch während der Winterkurzeit wesentlich angenehmer gestaltet wird.
1911 entsteht die 1949 erneuerte große Tennis - Turnieranlage an der Bismarckstraße. Der heiße Sommer 1911 bringt die nur 1947 noch über-schrittene Rekordbesucherzahl von fast 30 000 Kurgästen. 1927 wird die Bürgermeister- Kieviet- Promenade zwischen Wandelhalle und Südbad auf 13 m verbreitert, womit eine besonders bequeme Wandelbahn am Meer geschaffen ist. So rundet sich das Bild des Meeresheilbades Borkum unserer Tage, der Insel der Vielseitigkeit. Am weitesten in das Meer hinausgeschoben, schenkt sie ihren Gästen, fern von Küstenluft und Wattendunst, ein reines Hochseeklima und eine besonders starke Brandung. Der Naturfreund findet auf der „ grünen Insel" zahlreiche lohnende Wanderziele, und die Formenfülle einer reichen Nordseenatur.
Gepflegte Kureinrichtungen mit wirkungsvollen Kurmitteln beschleunigen und erhöhen den Kurerfolg der großen Zahl der Inselgäste, in deren Dienst sich die gesamte Bevölkerung stellt. Im Jubiläumsjahr 1950 tritt die Gästezahl in die 2. Million ein. Möge die einzigartige Jugend- und Heilkraft dieser wirklich volkstümlichen Insel auch fernerhin mit ihrer kräftigen Natürlichkeit den Kranken und Erholungsuchenden segensvolle Gesundheit spenden!
Dr. Gerd Wagner , Kurdirektor
Die alte Mär vom Jungbrunnen ist schier Wirklichkeit geworden, müde, alt und krank taucht man unter und steigt wieder auf kraftgestählt, morgenfrisch und urgesund . . .