Herman Akkermann
Auf der Suche nach dem ursprünglichen Inselcharakter Borkums kommt der Besucher auch „in de Südhauk“. Wo sich die Süderstraße mit dem Wiesenweg trifft – hier sind auch noch „Riemen“ zu finden, jene Stein-Erdwälle. Die früher die Gärten vor dem Sand schützten; von den jetzigen Besitzern liebevoll instand gehalten – steht auf einer Anhöhe, einer „Warft“, ein altes Haus. An der Tür eine kleine Porzellantafel mit dem Namen des ehemaligen Bewohners und darunter die Inschrift: Seehundsjäger. Hier wohnte Herman Akkermann, geb. am 31.03.1859, gest. am 31.03.1953. die Namensgleichheit vieler Insulaner erforderte ein Unterscheidungsmerkmal; im Erfinden von Spitznamen entwickelten die borkumer geradezu eine stinksichere Fertigkeit. So hieß dieser Akkermann, auf die Lage seines Hauses anspielend, im Volksmund: „Hermann van der Höh“.
Im Archiv, das z. Zt. neu überarbeitet wird, des Heimatvereins der Insel Borkum, befindet sich ein kleines Buch (Druck W. Specht, Borkum). Titel: „Erzählungen über Borkum aus alter und neuer Zeit, von Herman Akkermann“. Der Autor lässt zu Beginn seiner Geschichten eine alte Zeit wieder lebendig werden, die bei aller Schlichtheit und Kargheit des insularen Lebens und trotz der „Dewarsbüngel un Stiefkoppen“ das Zusammengehörigkeitsgefühl der Borkumer ahnen lässt, wie es zumindest einmal war:
„Es ist schon sehr lange her, dass die Alten, die damals meist Seeleute oder Fischer waren, an den Winterabenden zusammenkamen, um ein „Büürprootje“ (Abendgespräch) abzuhalten, wobei die Frauen und Kinder meistens nur die Zuhörer waren. Es war schön, wenn bei Beginn der Dunkelheit ein frisches Torf- oder Holzfeuer auf dem offenen Herde hergerichtet wurde, dessen flammen allerhand gespenstige Schatten und Lichterstreifen an die Wände malten, dann einige Nachbarn oder bekannte hereinkamen. Dem ältesten der Besucher wurde stets der Ehrenplatz „in de Hauk“ (Hörn oder Herdecke) zugewiesen und indem die anderen Männer dem Alter nach einen Halbkreis um den Herd bildeten, nahmen die Frauen um den Tisch herum ihre Plätze ein, um auch während des Plauderstündchens tätig zu sein, denn es mussten die zur See gehenden Männer mit gestrickten Wollzeug für lange Zeit wohl versehen sein. Wir Kinder, groß und klein, drückten uns dann in irgendeinem Eckchen zurecht, wo ein warmer Schein des flackernden Feuers uns noch erreichte und horchten gespannt auf die Erzählungen der Alten, die bald einsetzen mussten, nachdem jeder der Männer seine ihm gereichte oder mitgebrachte lange Tonpfeife angebrannt hatte und die an der Decke hängende blanke Öl- oder Tranlampe, die später durch eine Petroleumlampe verdrängt wurde, entzündet war, damit die Frauen ihrer Handarbeit nachgehend konnten.“
Herman Akkermann berichtet dann ausführlich über die Geschichte, Lage und Form seiner Heimatinsel. Naturkatastrophen prägten das wechselnde Gesicht des Eilandes, z.B. die Sturmflut vom 30/31. Januar 1877, die an der Nord-West Seite an den sog. Quabben 30m vom vorgelagerten Dünenwall weggerissen hatte und große Gefahr für das Dorf und die Dünen bestand, „wodurch die Wasserbauverwaltung sich genötigt sah, eine Dünenschutzmauer zu errichten, als zusätzliche Maßnahme zu der seit 1868 bereits errichteten Buhnen.“
Es bedurfte nicht die Erklärung wissenschaftlicher Expertisen, dass die Insel wandert, aus nordwestlicher nach südöstlicher Richtung, die Menschen auf Borkum haben es aus eigener Erfahrung gespürt, trotzdem versuchte man immer wieder, das eigene Stückchen Land gegenüber den Naturgewalten zu verteidigen. Nicht nur das Wasser, der Wind, dazu der feine Sand, brachten viele Probleme.
Die Borkumer als erfahrene Seefahrer. Nicht nur als Fischer, auch als Lotse durch das gefährliche Emsfahrwasser zur Hafenstadt Emden, dessen Kaufmannschaft zur Sicherung ihrer Schiffe und der wertvollen Fracht 1576 auf Borkum den Alten Turm errichteten. Herman Akkermann kommt dann auf die Anfänge der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegr. 1865 zu sprechen: „ Das sehr viele Schiffsunglücke in der Umgebung von Borkum vorkamen, beweist die Tatsache, dass mein Vater und ich eines Abends 67 Schiffsunfälle in der Erinnerung hatten, von denen einige schiffe mit Mann und Maus untergingen, von den meisten aber, größtenteils durch Rettungsboote die Mannschaft vor dem Untergang bewahrt blieben. So bekam Borkum als erste der ostfriesischen Inseln eine Rettungsstation. Seit der Zeit des Bestehens sin von Borkum aus über 200 Menschen aus Seenot gerettet, von denen der Schreiber dieses in 16 jähriger Tätigkeit als Bootsmann und 27 jähriger Betätigung als Vormann 102 Personen mit gerettet hat!“ Aus seinem Tagebuch schildert er zwei solcher Rettungstaten, wie sich auch sein Erzähltalent beweist, wenn er auf die Walfangzeit zu sprechen kommt. Die „Blütezeit Borkums“, wie sie oft genannt wird, besteht einfach aus der Tatsache, dass sich die Insulaner sehr schnell in gehobenen Positionen befanden, was sich beim beglückten Fang natürlich anteilmäßig auswirkte.
Durch politische Umstände war plötzlich sehr schnell eine Wende eingetreten, die Insulaner verarmten, die Bevölkerung ging rapide zurück, gerade Witwen, die aus der Armenkasse der glücklich heimgekehrten Walfänger unterstützt wurden, litten bittere Not. Kehren wir zum Originalton Akkermann zurück: „Im 18. Jahrhundert war Borkum nicht nur durch den Walfang allein zu vollen Blüte gelangt, auch die Küsten- und Handelsschifffahrt zwischen Hamburg, Bremen und Amsterdam war sehr im Aufblühen begriffen, von denen die Borkumer Schiffer eine ziemliche Anzahl besaßen und gute Bezahlung für die frachten erhielten, bis der englisch-holländische Seekrieg, der 1780 ausbrach, auch diese Quelle zum Versiegen brachte. Als einer der letzten Tjalkschiffer muss wohl Okke Ocken fungiert haben, dem, als er mit seinem Schiffe in Hamburg lag, zu einer Zeit, als die Frachten schon weniger gut bezahlt wurden, an der Börse für eine Ladung Salz nach Amsterdam zu befördern, 700 holl. Gulden geboten wurde, äußerte: As ick neyt meer Fracht as 700 Gülden van Hambörg na Amsterdam maaken kann, dan leg ik mien olde Tjalk up Börkum in´t Hopp un houw hum mit de Biele vör de Kopp.“ Dieses Vorhaben soll er, so Akkermann, tatsächlich ausgeführt haben.
„Under Napoleom“ – deij Franzmann was gekoomen“-, wurde Borkum unter der französischen Besatzungsmacht zusätzlich getroffen. „Die Bevölkerung litt unter der Einquartierung, die das Beste, was vorhanden war, verlangten oder sogar noch gewaltsam mitnahmen. Die Herren Franzosen waren mit Speise und Trank zu versorgen, was freilich sehr schmal gewesen sein wird, denn die armen Menschen, die täglich an der aufzuführenden Schanze ohne Bezahlung zu arbeiten gezwungen wurden, hatten selber fast nichts mehr zum Leben. So erzählte die 1805 geborene Großmutter manche Begebenheit aus ihren Kinderjahren.“
Der Lebensunterhalt wurde bestritten durch Kaninchen- und Entenfang, worin die Insulaner von jeher eine besondere Fertigkeit entwickelten, weil man auch nicht einsehen konnte, dass gerade diese Produkte „bloot vor deij hooge Heeren an de faste Walle“ sprich fürstenhäuser, bestimmt sein sollten; Fischfang und Möweneier suchen. Zum Abschluss seines Buches kommt Herman Akkermann auf die Anfänge des Fremdenverkehrs zu sprechen. De Badegasten koomen:
„In den 1850er Jahren war noch kein zweistöckiges Haus auf Borkum vorhanden, doch besuchte schon eine ziemliche Anzahl Badegäste im Sommer die Insel, für ihren Aufenthalt den Insulanern die besten Räume ihres Häuschens abmieteten. Öffentliche Badeeinrichtungen gab es damals noch nicht. Die Gäste ließen sich durch einen Insulanerjungen ein von den Wirtsleuten geliehenes großes Stück Segeltuch an den Strand tragen und bauten sich in der Nähe des Wassers ein dreieckiges Zelt auf, für Eltern und Kindern je besonders, zum Schutz gegen den Wind und den Augen der anderen Gäste. Gesellschaftliche Veranstaltungen fanden unter den Gästen fast gar nicht statt, mit Ausnahme einiger Tanzfeste, zu welchem Zweck in einem haus eine Scheune aufgeräumt und eingerichtet wurde, wobei ein Insulanerjunge auf einer Ziehharmonika die wunderbarsten Tanzweisen hervorbrachte, als: Lotti s doot (Esmeraldo), Sitt ein Jöd in´t Deyp (Rheinländer), Feins Leibchen mein unterm Rebendach (Walzer), u.a. und es wurde nicht Sekt getrunken, sondern Rotwein, Bier in Flaschen, wenn der Fährmann solches mitgebracht hatte und Doornkaat. Jedenfalls amüsierten sich die Gäste bei diesen einfachen Veranstaltungen köstlich.
Von Jahr zu Jahr stieg die Besucherzahl der Gäste, in welchem Verhältnis auch der Häuserbau zunahm, in manchen Jahren eine Überproduktion an Wohnungen entstanden war, daher für den einzelnen Vermieter ein kleines oder auch wohl ein größeres Minimum im Geldbeutel sich einstellte. Dann hieß es auch, wie manchmal in früheren Jahren, „die Segel straff angezogen und scharf am Winde beilegen“, um die notwendigen Ausgaben zu bestreiten.
In Emden und Leer waren Gesellschaften entstanden, deren Dampfer im Sommer die Beförderung besorgten, was eine Bequemlichkeit darstellte, da sie nicht mehr allein auf die Überfahrt mit den Segelschiffen angewiesen waren, deren Überfahrt zwischen Emden und Borkum bei Gegenwind manchmal ein ganzen Tag in Anspruch nahmen, und konnte dadurch ihr Ziel in durchschnittlich vier Stunden erreichen. Die Dampfer landeten an der Rundeplate in der Fischerbalge, woselbst die Gäste in eigens dafür gebauten Booten ausgeschifft und soweit ans Ufer gefahren wurden, bis sie vom Boote aus den Wagen ersteigen konnten. Mit diesem ging die Fahrt durch das Watt und über holprigem Wege der Weiden bis zum Absteigeplatz, entweder bei Köhler´s Dorfhotel oder Bakker sen., wo die Insulanerfrauen zugegen waren, um im kauderwelschen Hochdeutsch ihre Wohnungen anzubieten, die dann nach Übereinkunft des Preises und Besichtigung zur Verfügung gestellt wurden. Seitens der Gemeinde- und Badeverwaltung war für die Gäste die Bequemlichkeit getroffen, indem die meisten Wege im Dorfe wie auch zum Badestrand mit Fußsteigen gepflastert waren, für welche man die Gäste die Belastung aufgelegt hatte, dass sie sich durch ihren Hauswirt anmelden ließen und dafür eine Kursteuer entrichten mussten. Auch waren am Strande Badekarren aufgestellt, es gab das Herren- und Damenbad, woselbst an letzteren auch Badefrauen angestellt waren, weit auseinanderliegend, jedenfalls damit begründet, die altgewohnte Keuschheit nicht zu beeinträchtigen. Durch die steigende Besucherzahl wurden Spekulanten angelockt, um größere Mietshäuser wie Hotels zu errichten, was für die alten Insulaner in betreffs des Vermietens ihrer Zimmer einen erheblichen Nachteil verursachte.
Die Emder, denen das Aufblühen des Seebades Borkum nicht entgangen war, versuchten es, den Insulanern das Bad zu entreißen, um dieses durch eine Gesellschaft leiten zu lassen und aus den Einkünften einen finanziellen Vorteil zu erzielen. Als die Insulaner von diesem Vorhaben Wind bekamen, schickten sie eine Abordnung von drei Personen nach Berlin, wobei sie beim Minister des Inneren erreichten, dass ihnen die Einrichtung des Bades und diesen die etwaigen Überschüsse verbleiben sollten, unter der Bedingung, dass nach Kräften mehr für die Einrichtungen zur Bequemlichkeit für die Gäste Sorge zu tragen hatten. Daraufhin wurde eine zu amortisierende Anleihe gemacht, für welche alle Insulaner mit ihrem Besitz sich zu verpfänden gezwungen waren, welche man dazu verwandte, an der Runden Plaate eine Landungsbrücke zu bauen, wie auch Federwagen und Strandkörbe aus Rohr. Aber es dauerte nicht lange mit der bequemen Ladung, denn in demselben Sommer trat ein Sturm mit ziemlicher hoher Flut ein, der die ganze Landungsbrücke, die mit einem Kostenaufwand von 10 000,- Mark hergestellt war, vollständig zertrümmerte und die Beförderung wieder nach der alten Methode auszuführen war.“
Abschließend entbietet Herman Akkermann „allen Gästen ein herzliches Willkommen auf unserer grünen Insel, mit dem Wunsche, dass die unternehmenden Spaziergänge und Fahrten in der freien Natur auf dem Lande wie dem Wasser dazu beitragen, Leib und Geist zu stärken für die fernere Arbeit“. Seine Mitbewohner mahnt er „freiwillig zu der alten Einfachheit und Sittlichkeit zurückzukehren, statt vielleicht durch eintretende schlechtere Zeitverhältnisse dazu gezwungen sein, wenn jetzige Erwerbsquelle nicht mehr das nötige Flüssige hergeben wird“.
Diese auszugsweisen Aufzeichnungen, im Handel nicht mehr erhältlich, will der Heimatverein aus seinen Archiv den Lesern, Insulanern und Gästen der <> uns „Inselblattje“ nicht vorenthalten, um hier einen alten Borkumer erzählen zu lassen, kein „Studeierte“, in seinen eigenen Stil gehörtes und Selbsterlebtes weiter zu geben, einen Mann, den noch viele Menschen auf der Insel kannten, vital bis ins hohe Alter, gut aussehend mit seinem „Weihnachtsmannbart“. In der schiffahrts-historischen Abteilung des Inselmuseums „Dykhus“ neben dem original alten Ruderrettungsbootes „Otto Hass“ sind Spuren dieses alten Borkumers zu finden, Bilder, Medaillen und Auszeichnungen.
Der Widmung zu seinem Buch „Erzählungen über Borkum aus alter Zeit´- von Hermann Akkermann ist nichts mehr hinzuzufügen:
Dem Heimatverein Borkum gewidmet mit dem Wunsche und der Hoffnung, dass derselbe auch diese, meine einfachen Erzählungen gütigst, und wohlwollend in seine alten und neuen Sammlungen aufnehmen wird unter dem Schutze seines so trauten, Klangvollen Namens.