Borkumer Rolle oder Ordnung
1666
Wie hochnötig und sehr nützlich in allen menschlichen Handlungen sonderlich in Kirchenspielen und Communionen die gute Ordnung sei, wornach sich die Einwohner eigentlich richten müssen, solches bezeugt die tägliche Erfahrung unwiedersprechlich. Wenn nun gleich in allen anderen Kirchenspielen dieses Ihro Fürstl. Gnaden Ambts Greetsiel das darunter gehörige Eiland Borkum auch vormals eine gute richtige Ordinants oder Rolle gehabt, welche aber abhanden kommen und die Gemeine gedachten Fürstl. Eilands Borkum umb Institution oder Renovirung der Rolle embsich bei uns, Ihro Fürstl. Gn. Jetziger Zeit Drost und Ambtmann, gebeten und angehalten, zu dem Ende auch über einen ihren Uebergesandten Antwort ihrer Nachricht nicht allein zugeschickt, sondern noch darüber wegen ihres alten Gebrauchs und stetiger Gewohnheit etzlicher Punkte halber eidlich in judico ambtshalber gefragt worden, alsz hat man diesen allen nach auf fleißigste Erwägung der Sachen, Umbstände und Gelegenheit diese Ordinats und Rolle in folgenden Punkten bestehend hiermit ihnen erteilen und zur Festhaltung im Namen I. F. Gn. Publiciren wollen, wonach sich Ihr. F. Gn. Bediente, als Vogt und Auskündiger, sodann die Gemeine auf Borkum sambt und sonders eigentlich bei ferner fürstl. Strafe richten und reguliren wollen.
[1] Der Vogt auf Borkum soll die Gemeine und einen Jeden deren zur Observants dieser Rolle fleißig ermahnen und ernstlich anhalten, auch selbst, soviel ihn und die Seinigen betrifft dawieder weder directe noch indirecte nicht vornehmen noch handeln, in specie soll er auf Conservation der Dünen, deiche, balgen oder Auffahrt gute Achtung haben, die mutwilligen Verbrecher bestrafen, am Ambtsgericht ohne Connivents angeben, zur Rettung der schiffbrüchigen Leute und Güter den Untertanen zeitlich mit Ernst antreiben, auch selbst soviel möglich besichtigen, genau die angestrandeten und geborgenen Güter aufführen lassen und in gute Verwahrung nehmen.
[2] Soll der Vogt nicht allein für sich selbst, sondern mit Zusehen und Präsens des Pastors und zwei oder drei Einwohner die angestrandeten Kisten und Fässer eröffnen lassen und die verschlossenen und unverschlossenen Güter also specifice designiren und über die geborgenen Güter ein schriftliches Inventarium alter Gewohnheit nach machen und aus, Ihrer Fürstl. Gn. Beanbten, anhero übersenden und unvorzüglich, auch wann nasse Ware, als Wein, Branntwein etc. im Aufführen leck geworden, selbige Fässer in gemeldeter Leute Präsenz pegeln und also verzeichnen, damit die Kaufleute sich dessen desto weniger beschweren haben.
[3] Es soll der Vogt die Kaninchenjagt bestmöglich konserviren und zu dem Ende ohne Spezialbefehl vor Jakobi und nach Lichtmeß alter Gewohnheit nach, damit damit die Vermehrung der Kanine nicht verhindert werde, mit den Fretten nicht jagen, auch soll, wenn er oder auf seinen Befehl die Seinigen jagen, der Auskündiger allemal dabei gebraucht werden, dem alter Gewohnheit nach für seine Arbeit nach Gelegenheit des Fangs ein oder zwei Kanine gegeben werden sollen. Sonst soll auch der Auskündiger in Herrengeschäften und zu des Eilands Besten des Vogts Befehl fleißig pariren und nachkommen, alles bei fürstlicher höchsten Ungnade und Abitralstrafe.
[4] Die ganze Gemeine auf Borkum und ein jedweder Einwohner sollen Ihr. F. Gn. Vogt in allen billigen Dingen mit gebührendem Respekt gehorsame Folge leisten, auch ihres Pastors und Seelsorgers christlicher Vermahnung und Strafen mit ziemender Reverenz und Liebe sich untergeben. Sie sollen auch des unnötigen Strandlaufens, wie auch des Kaninenfangs gänzlich sich enthalten bei Vermeidung hoher Arbitralstrafe im Betretungsfall; es sollen auch die Einwohner mit höchsten Fleiß Menschen und Güter auf die bestmögliche Weise retten, versegelte, unkundige Schiffe einlootsen und bei Bedingung des Lohns sich bescheiden bezeigen. In specie soll die Gemeinde und ein Jedweder Derselben, Vogt, Pastor, Auskündiger, Keinen ausgenommen, alter Gewohnheit nach aus jedem Hause eine Person zur Zeit, wenn die Deichrichter die Deiche zu machen anordnen, selbige wohl verfertigen und repariren bei der Pön von einem Goldgulden für die Ausbleibenden, der jedesmal der Gemeine verfällt. Sie sollen, was zur Conservation der Dünen mit Flackensetzen und Helmpflanzen ihnen anbefohlen wird. Altem herkommen nach fleißig verrichten, des Helmmähens ohne Spezialerlaubnis sich enthalten, in Grabung des Sandes und Stechung der Soden nach Anweisung des Vogts solches Maß halten, daß daraus dem Lande kein Nachteil geschieht, alles bei Vermeidung fürstlicher Ungnade und Abitralstrafe.
[5] Wegen dessen, was von angestrandeten Gütern, item bedunggenem Lootsengeld na Recht oder alter Gewohnheit den Eiländern an Bergegeld oder sonsten kompetiren kann, damit soll es anlangend den einzelnen Anteil alter Gewohnheit nach, die von den Deputirten der Eiländer in judico eidlich bekräftigt worden ist, zwischen dem Vogt, der Gemeine und unter der Gemeine selbst folgendergestalt gehalten werden.
[6] Angestrandete Güter und deren Bergegeld belangend. Was auf den Reven und außerhalb der Reven geborgen wird, davon hat der schiffer, welcher mit seinem Schiffe das Gut birgt, für sein Schiff zwei Part und für sein Leib oder Person auch ein Part und also in allem drei Part. Ist nun Jemand mit auf dem Schiff, der mit bergen hilft und dem das Schiff nicht mit zugehört, der hat für sein Leib einen Part. Was aber binnen der Reven, das ist auf der Ranzel oder Embs geborgen wird, davon hat das bergende Schiff zwei Teile und der Schiffer, dem das Schiff zugehört, noch einen Teil für seinen Leib und alle, die bergen helfen, das ist Haus Vatter (und keine Jungens sind) einen Teil. Die aber zu Hause bleiben, haben hiervon keinen Part, ausgenommen den Vogt, den Pastor und die Witwen, wobei zu notiren, wann der Vogt hilft mit seinem Wagen die geborgenen Sachen zu Hause zu führen, alsdann hat er nur drei Teile, und ein jeder Altbauer, wenn er mit seinem Wagen hilft, zwei Part und sonst einen Part. Was an den „Voot-Fuß-strand“ kommt, das ist, was nicht mit Schiffen geborgen wird, sondern von selbst an den Strand kommt von Kaufmannsgütern, davon hat der Vogt vier Teile und der Pastor zwei Teile und ein jeder Pater- oder Materfamilas (Haus-Vater-oder Mutter), er sei ein Alt- oder Neu-Bauer, und da selbe eine Witwe und unvermögend, mag (sie) ein (en) Knecht in ihr Plaetse krygen, der damit zu Hause fahren hilft; hat einen Teil; der aber nicht mit arbeiten und zu Hause fahren hilft, hat auch keinen Teil, dies ist aber so zu verstehen, wenn ein Hausvater einen oder mehrere große Söhne hat, die ihm arbeiten helfen, so hat er doch nicht mehr als einen Teil.
[7] Lootsgeld ist, wenn ein Schiff unkundig ist und noch in freier Fahrt ist auf dem Strom und läßt einen Syauwer (Siauwe) (Notzeichen) fliegen oder löset ein Stück (Geschütz) und also damit einen Lootsmann fordert, der sie bringen soll an den Ort, da sie befahren zu sein. Alle diejenigen, welche sich nun an dem Strand befinden und den Syauwer ansichtig werden, die tun sich beisammen und vereinbaren sich, wer von ihnen hinfahren soll und wer dann sagt, daß er es für den geringen Preis tun will, der fährt hin. Was aber über den accordirten Preis tun will bedungen wird, kömmt der ganzen Kompanie zu gute, die nämlich über den Accord und am Strand gewesen, worunter auch verstanden wird ein jeder Hausvater, der aber doch nur einen Part davon hat, wenn auch einer oder mehrere Söhne dabei sind. Wenn aber der Vogt und der Pastor nicht mit präsent sind, dann haben sie auch keinen Teil am Lootsgelde, nämlich wenn es ihnen angesagt ist und sie wollen nicht mitfahren. Ist es ihnen aber nicht gesagt und die Eiländer das Schiff von den dem Turm sehen, so haben sie ihren Anteil mit davon. Obiges ist so zu verstehen: Wenn eine Person auf das fremde Schiff geht und lootset, daß sie die Leute bringt an den begehrten Ort, da sie sein wollen, wenn aber mit ganzen Schiffen muß gelootset werden, das ist, wenn ein anderer mit seinem Schiff muß noch fahren und dem Syauwer helfen, alsdann muß Derjenige mit seinem Schiff fahren, auf den das Los fällt, als auch müssen so viele Personen auf dem Schiff fahren, als die gegenwärtige Not erfordert, und auf welche das Loos fällt. Wer nun mit seinem Schiff lootset, der soll haben drei Part, das ist einer für seinen Leib und fürs Schif zwei, es sei auf den „Reven“ oder „Rif“ oder Rantzel, das ist binnen „Dieves“ oder Borkum. Wenn aber der, der den Syauwer hat, befunden wird, daß er nicht mehr in freier Fahrt auf dem strom begriffen ist, sondern irgend festsitzt und leck ist, welches der Vogt alsdann visitiren muß, ob es in der hohen Landes Obrigkeit Hände verfallen sei oder nicht, kann kein Lootsgeld heißen, sondern Bergegeld, und muß es mit den Parten gehalten werden, wie es zuvor Nr.6 angedeutet ist von den Bergegütern, die außerhalb oder innerhalb der Reven geborgen werden.
[8] Wracken sind lecke, verlassene, ledige und festsitzende Schiffe, die nicht können abgebracht werden, item angestrandete Stücke von Schiffen, halbe, viertel oder sonst große Stücke, wozu auch gerechnet werden angetriebene Masten, Rahen, Stengen „Rohrs“ von Schiffen, Schuten, Schwerden, Lastbalken und „Hofpahlen“, weil dies alles alter Gewohnheit nach, wie auch die Borkumer Deputirte mit Leiblichem Eid beteuern, der Gemeine auf Borkum heimgefallen und unter ihnen nach Proportion eines jeden Anteil pflegt geteilt oder zum gemeinsamen Brauch verwendet zu werden, jedoch daß der Vogt , den fürstlichen Beamten zu Greetsiel in diesem und den vorigen Punkten als die alter Gewohnheit nach ihnen kompetierende Gefälle und Anteil vier Part davon zugelegt werden, bei denen man es bewenden läßt, wie es denn also unweigerlich so gehalten werden soll, bei Vermeidung arbiträrer Strafe und fürstlicher Ungnade.
Schließlich wird hiermit verordnet, daß zur Nachricht und besseren Observirung diese Rolle, deren zwei gleichlautend verfertigt eine dem Vogt, die andere der Gemeine auf Borkum zugestellt werden soll, alle Jahre öffentlich vor der Kanzel soll publicirt und vorgelesen werden, diese Ordinanz und Rolle nach befinden nach Notdurft, sonderlich aber auf fürstlich hoher Landesobrigkeit Befehl zu vermehren, zu vermindern, zu ändern und also zu verbessern und Ihro Fürstl. Gnaden Drost und Amtsmann hiermit per expressum sich vorbehalten und reserviren.
Signatum Greetsiel am 13. März 1666 | Moritz Hahne - Drost | J. A. Freitag - Amtmann