Die Entstehung der Nordseeinsel Borkum
Erörterung der Frage nach der Entstehung unserer Insel
Bei der Erörterung der Frage nach der Entstehung unserer Insel denkt man zunächst an die verschiedensten Möglichkeiten einer Inselentstehung überhaupt. Da liegt das Eiland Borkum inmitten einer langen Inselkette, die von Texel bis Wangerooge sich erstreckt und der südlichen Nordseeküste vorgelagert ist. Viele Gäste sind der Meinung, die Küste sei einmal hier gewesen und das ehemalige Festland dazwischen, das wir jetzt das Wattenmeer nennen, wäre von der Nordsee fortgespült worden. Danach seien die Inseln stehengebliebene Reste ehemaligen Festlandes, wie die Halligen an der schleswig-holsteinischen Küste. Andere Möglichkeiten der Inselentstehung werden einer Betrachtung unterzogen. Inseln können aus dem Wasser aufragende Kuppen von untermeerischen Hügeln oder ehemaligen, längst untergegangenen Gebirgszügen sein, wie wir das bei Helgoland deutlich erkennen. Da kann es sich um Horste über Salzstöcken handeln, oder dort kommen plötzlich vulkanartig Erdrindenstücke aus dem Meer heraus, und hier wieder bilden sich Inseln durch Krusten- und Schalentiere. (Korallenriffe der Südsee).
Keine dieser genannten Möglichkeiten ist Ursache unserer Inselentstehung geworden. Vielmehr haben wir zunächst die Frage zu klären, seit wann die Nordsee-Inselkette an der heutigen Stelle gelegen hat? Damit taucht sofort ein weiterer Gedanke auf: Seit wann hat die südliche Nordseeküste ihre heutige Lage? Die seit einigen Jahrzehnten nach dieser Richtung hin konzentrierten Bodenuntersuchungen der Meeresbiologen und -geologen und die zahlreichen Bodenfunde geben uns heute ein ganz klares Bild unserer Inselentstehung.
„Altes Nordseeland" als Bindeglied
Betrachten wir die Karte von den Nordsee-Ländern, so erkennen wir die Nordsee als ein Randmeer des Atlantischen Ozeans. Dieses ist im Vergleich zum Atlantischen Ozean mit Meerestiefen von mehreren tausend Metern ein Flachmeer bis zu 100 m Tiefe. Da erhebt sich die Frage: Ist unsere Nord¬see vielleicht einmal Land gewesen und bildete dieses „Alte Nordseeland" das Bindeglied zwischen England und Skandinavien? Viele und langjährige Bodenuntersuchungen lieferten den Beweis, dass sich die südliche Nord¬seeküste einmal von den Shetland¬inseln bis nach Skandinavien hinzog. In diesem Raum fand man eine soge¬nannte Bodenschwelle, die nach dem Atlantischen Ozean hin steil abfällt. So war unsere heutige Nordsee noch um 20000 Jahre v. Chr., Altes Nord¬seeland", und England und Skandi¬navien gehörten zum festen Kontinent¬gebiet über dieses Gebiet sind aber Hunderttausende von Jahren vorher zwei Eiszeiten und zwei Zwischeneis¬zeiten hinweggegangen. In den Kalt¬zeiten schoben sich Gletschermassen in Tausenden von Metern Dicke über das alte Nordseeland wie über das ganze Norddeutsche Tiefland, bis hin zu den deutschen Mittelgebirgen. Sie hobelten Gebirgszüge ab, sägten sich mit ihren Eisblöcken durch den Boden und gestalteten mit ihren Grund- und Endmoränenablagerungen das Alte Nordseeland und diese unsere heutige Landschaft. In den Warmzeiten1 den Interglazialen, kam es zu den großen Wasserüberflutungen und zur Seen¬bildung. Die Vorläufer unserer heu-tigen Ströme - die Urstromtäler - entstanden. So wurde das Alte Nord¬seeland zweimal überflutet, und in dem „Stör-Meer" und dem „Eem¬Meer" hatte die heutige Nordsee schon zwei Vorläufer.
Um 20000 v. Chr. geht im skandinavi¬schen Raum eine dritte Eiszeit langsam zu Ende. Es ist die „Würm-Eiszeit“, früher „Weichsel-Vereisung" genannt. Ihre Gletschermassen gelangen nur noch bis zur Elbe, erreichen also das Alte Nordseeland und unsere west¬liche Norddeutsche Tiefebene nicht mehr. Aber diese nahe Kaltzone beeinflusst witterungsmäßig dieses Ge¬biet. Rauh und unwirtlich, trocken und sehr kalt ist das Klima. So müssen wir uns um diese Zeit das Alte Nordseeland als ein Tundragebiet vorstellen mit Steppengräsern, Zwergbirken und Gletscherweiden, als ein großes Ried¬grasgebiet, in dem schon damals zur Altsteinzeit der Mensch nach dem Renntier jagte. Von 20 000 v. Chr. ab beginnt dann die sogenannte Nach¬eiszeit. Eine ganz, ganz langsame Er-wärmung tritt ein und damit im heuti¬gen norwegisch-schwedisch-dänischen und ostdeutschen Gebiet eine sich entwickelnde Eis- und Schneeschmelze. Von etwa 8000 v. Chr. ab - zu Beginn der Mittelsteinzeit - tritt eine stärkere Erwärmung ein.
Altes Nordseelandes nicht mehr vorhanden
Das Tundragebiet mit seinem harten Pflanzenwuchs erhält, eine biologische Umgestaltung. · langsam setzt der Baumwuchs ein. Kiefern-, Birken- und Haselnusswälder bilden sich. Um diese Zeit ist aber die Hälfte des Alten Nordseelandes nicht mehr vorhanden. Die Fluten des Atlantischen Ozeans haben den nördlichen Teil dieses Lan¬des fortgespült und überspült. Die südliche Nordseeküste verläuft von Mittelengland in der Linie Middlesbrough - Doggerbank - Limfjord zur Spitze des heutigen Jütlands. Bo¬denuntersuchungen stellten in diesem Raum einen langen und breiten ehe¬maligen Sandwall fest, der durch Stauung der aufeinanderprallenden Wassermassen vor diesem Festland entstanden sein muss.
Noch ist um diese Zeit das südliche Nordseegebiet. nicht in Gefahr. Der Meeresspiegel liegt noch etwa 40 m tiefer als das vor ihm liegende Festland. Die im Entstehen begriffene Nordsee hat noch keinen Einfluss. Etwa von 6800 v. Chr. an kommt es zu einer durchgreifenden Klimabesse¬rung. Im skandinavischen Raum ist die Todesstunde des Inlandeises gekom¬men. Wärmeliebende Pflanzen und Tiere erscheinen, Seen und Sümpfe beleben sich, und Wälder werden größer. Während Linde, Eiche, Esche, Ulme und Pappel an sandigen Stel¬len Mischwälder bilden, bewalden die Erlen die Bruchs und sumpfigen Stel¬len. Durch die immer stärker einset-zende Eisschmelze erhöht sich von 5500 v. Chr. an der Meeresspiegel von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Hinzu kommt, dass sich das südliche Nord-see-Land senkt. Beide Tatbestände bewirken, dass von nun an dieses noch bestehende südliche Nordseeland in den Einflussbereich der Gezeiten der Nordsee gelangt. Während diese alte südliche Nordseelandschaft um diese Zeit wohl ihre stärkste Bewaldung hat, alle wärmeliebenden Pflanzen und Tiere in Wald, Feld und in den Gewässern vorhanden sind, muss der Mensch, der um 4000 v. Chr. - dem Beginn der Jungsteinzeit - sesshaft wird, vor den hereinbrechenden Fluten der Nordsee nach Süden ausweichen. Von dieser Zeit an beginnt das Maximum des Meeresspiegelanstieges. Die Geologen weisen nach, dass nunmehr in vier gewaltigen Vorstößen die Nord-seefluten das südliche Nordseeland zerstückeln und überspülen, was ihnen durch die Senkung der Erdscholle erleichtert wird. Dazwischen liegen natürlich Stillstandsperioden, in denen sich wieder eine neue südliche Nordseeküste mit denen ihnen vorgelagerten Sanden bildet.
Der Verlauf unserer heutigen Küste
Während die Doggerbank noch länger als Sperrriegel bestehen bleibt, verlagert sich diese Küste dann immer weiter nach Süden, und im letzten Jahrtausend v. Chr. müssen wir annehmen, ist ihr Verlauf etwa im heutigen Raumgebiet. Die Nordseefluten, und vor allen Dingen die von Zeit zu Zeit eintretenden Sturmfluten, beginnen sich in diesem Bereich auszuwirken. Sie gestalten und formen in dieser Zeit schon den Verlauf dieser unserer heutigen Küste. Die Nordsee hat das ehemalige Alte Nordseeland unter sich gebracht und nach der vorletzten Stillstandsperiode setzt sie nun ihr Zerstörungswerk fort. Während sich weiter nördlich als heute vor dieser sich gebildeten Küste durch Stauungserscheinungen Sande ablagern und sich Sandbänke bilden, überspülen die Fluten das dahinterliegende Festland mit seinen Sümpfen und Mooren und überziehen es mit einer dicken Schlickschicht, die aus sandigem Ton besteht. Einige Jahrhunderte vor Beginn unserer geschichtlichen Zeit kommt es dann noch einmal zu einer kleinen Meeresspiegelerhöhung von einigen Metern. Der sich vor der Küste gebildete Sandwall von Sandbänke zu einem langgestreckten Sandbänken wird fortgerissen, und das Meer überspült weiterhin das sich bereits entwickelte Marschland an der Küste. Allerdings verändert sich während dieses Geschehens unsere heutige südliche Nordseeküste in ihrer Hauptrichtung nicht mehr. Im Gegensatz zu früher tritt nun in diesem heutigen Raumgebiet eine endliche längere Beruhigung ein.
Kette von Sandbänken heben sich höher aus dem Meer
Durch den nun ständigen Zusammenprall des herausfließenden Süßwassers mit den heranströmenden Fluten des Meeres, durch Strömungswirbel vor der Küste und durch Aufhebung der Schleppkraft der Wellen, die dauernd Sandmassen hin und her bewegen, kommt es in diesem Wirkungsfeld zu neuen großen Sandablagerungen. Tausende von Sandbänken bilden sich wieder und eine gewisse mittlere Reihe von ihnen hebt sich langsam als eine Kette von Sandbänken höher aus dem Meer heraus. Eine in der See vorhandene West- Ostströmung - aus dem Ärmelkanal kommend – die durch die viele West- Nordwest gerichtete Windrichtung begünstigt wird, lässt sie, parallel zur Küste gerichtet, anwachsen. Die von der Nordnordsee auf die Küste zukommende tägliche zweimalige Flutströmung und der Rücklauf der Ebbe verhindern ein Zusammenwachsen der Sandbänke zu einem langgestreckten Sandwall von Texel bis Wangerooge. So verhindert auch heute, da die Sandbänke längst Sandinseln geworden sind, dieses Gezeitengeschehen die Schließung dieser großen Lücken (Seegats genannt) zwischen unseren heutigen Nordseeinseln.
Insel Borkum
Damit ist nunmehr die Frage nach der Entstehung unserer Insel Borkum, die in gleicher Weise vor sich gegangen ist, wie bei allen anderen uns benachbarten Sandinseln, geklärt:
1. Wir sind im Anfang eine große Sandbank gewesen und wurden eine Sandinsel.
2. Als Sandbank hat uns das Meer durch Aufhebung seiner Schleppwirkung infolge Stauung und Strömungswirbel vor der Küste gebildet, und zwar unter Mitwirkung der Gezeiten.
3. Damit sind wir eine Sandaufhäufung auf altem Nordseeland, das untergegangen ist und heute 18 bis 25 m unter dieser Sandaufhäufung liegt.
4. Unsere heutige Insel ist also eine Neubildung des Meeres auf altem Untergrund, eine alluviale Bildung (Schwemmböden an Meeresküsten) auf diluvialem Sockel ( Ablagerungen von Sandsedimenten u.a.).