Inselrhapsodie
Sonndurchglühte Dünentäler
Kleines Märchenreich
Stille, weiße, sonndurchglühte, kleine Dünentäler. Es gibt so viele davon. Eins aber gehört mir, mir ganz allein. Ich sage nicht, wo es liegt; es ist mein kleines Märchenreich.
Nackt, mit gelösten Gliedern, liege ich im warmen Sand, der spielerisch meinen Körper umrieselt. Kleine Schmetterlinge, blau wie Waldveilchen, gaukeln über den Gräsern am Dünenkamm, wehen wie welke Blätter zu mir herunter, schaukeln auf und nieder und werden vom sommerlauen Winde, der leise in dem Helm seine Traummelodien harft, fortgetragen irgendwohin in den tiefen Frieden dieser schönen Insel. Über mir hängt die weite, blaue Glocke des Himmels, unter der schneeweiße Vögel sich ruf breiten Schwingen wiegen.
Wie ist die Welt so still, so ruhevoll und schön! Ich schließe die Augen - ich atme den Frieden. Ganz von ferne nur klingt ein verlorenes Rauschen im sanften Rhythmus eines Schlummerliedes. Wache ich ? Träume ich? Einst hielt mein Großvater mir ein Riesenschneckenhaus ans Ohr: ,,Horch, mein Kind!" Da war auch dieses geheimnisvolle rhythmische Rauschen, das wie von fernher klang, wie im Unbekannten geboren. Es ließ mein kleines Kinderherz wie bang erschauern. ,,Es ist das Meer, das unermeßliche, das weite, ewige Meer, es ist der Atem des Schöpfers", sagte damals der Alte, und seine Greisenhand legte sich wie segnend auf meinen Scheitel. ,,Das Meer", murmelte ich, und der leise Traum, der mich weich in seine Arme nahm, stellte vor meine Seele die Bilder, die ich am Morgen geschaut. Hellaufjauchzend stürzten sich frohe Menschenkinder in die brausende Flut, teilten mit kräftigen Armen die kühlen Wogen oder ließen sich, von buhlerischen Wellen sanft umspült, dahintragen. Aller Ernst, alles Schwere war von ihnen abgefallen, wie Kinder stürmten sie der See entgegen und frohlockten, wenn die Welle schäumend sich an ihrem Körper brach. Und ich mitten unter ihnen, frei, wie erlöst, und laut wie sie, berstend vor Lebenslust und Lebensfreude.
Und darauf dann das Ruhen im Strandkorb, das fröhliche Plaudern mit der reizenden Nachbarin zur Linken, das Gespräch mit dem klugen, alten Herrn zur Rechten. Oder das lustige Ballspiel am Strande, der köstliche Ritt am Saum des Meeres! Vor allem aber das Burgenbauen, das spielerisch-ernste „ Trutz, blanker Hans!“
Insel schönstes Bild
Weit über das unermeßliche Meer
O köstlicher, goldener Morgen I Ich hätte am liebsten den ganzen Tag dort verspielt, verträumt und verlacht. Schließlich war ich allein. Da schenkte mir die Insel ihr schönstes Bild: Auf strammen Beinchen stand, nackt und ohne Schuld, wie der erste Mensch, ein kleines Kerlchen am Strande. Die Sonne umschmeichelte die runden, rosigen Glieder, und der Wind spielte mit den langen, weizenblonden Locken; die blauen Augen aber blickten weit, weit über das unermeßliche Meer. Ein winzig Menschlein vor der Unendlichkeit, vor Gottes Angesicht.
Und nun hörte ich wieder dieses geheimnisvolle Rauschen, das von fernher klang, wie geboren im Unbekannten. -
Träumte ich noch? Oder wachte ich? Ich schlug die Augen auf. Ich lag in meinem Märchenreich. Wo es liegt? Ich sage es nicht. Es gibt davon so viele!
H. van Dieken
Sie warten auch auf Dich! Schmucke Dampfer tragen Dich „sicher durch die Wellen", bequeme Wagen der Inselbahn führen Dich ins Dorf, verschwiegene Pfade verlieren sich im Dünenkranz ...