Lebendiges altes Brauchtum auf Borkum
Alte Borkumer Zeiten
Sitten und Gebräuche haben sich die Insulaner erhalten können
Wenn in alten Borkumer Zeiten die unter sich verwandte kleine Inselgemeinde fast ausschließlich von Seefahrt und Fischfang lebte, so ist das schon sehr lange her, und das sommerliche bunte Badeleben hat in den vergangenen 100 Jahren dem Dorfbilde und dem Leben seiner Bewohner ein ganz anderes Gepräge gegeben. Mancherlei Sitten und Gebräuche aber, die anderwärts im Strome der Zeit längst untergegangen sind, haben sich die Insulaner erhalten können. Ist die Saison vorüber, und sind die Borkumer wieder unter sich, dann leben in der Besinnlichkeit des Inselwinters diese alten Sitten und Gewohnheiten wieder auf. Da geht man nach der Arbeit des Tages zu einem „Prootje'' oder gar auf „Visite" zu Verwandten und guten Freunden. Bei einem echten, dunkelbraunen ostfriesischen „Koppke Tee", den die Hausfrau auf die knisternden „Kluntjes" in die zierlichen Tassen eingießt, leben manche alten „Döntjes" wieder auf. Die in diesen Döntjes geisternden Alten, die noch täglich an den Strand gehen, um eben zu „kieken", ob das Wasser noch da ist, die genau um Ebbe und Flut wissen und gewohnheitsgemäß Wind und Wetter beobachten, die auch bei Nacht in Watten und Prielen sich zurechtfinden, die wetterharten Fischer und Jäger, werden immer seltener. In vielen Familien wird noch das alte ,,deftige Börkumer Platt" gesprochen, und die Bezeichnungen der Wiesen - und Dünen sind redende Zeugen dieser schönen Überlieferung. Wegen der Vielzahl der gleichen Familiennamen wie : Akkermann, Teerling, Meeuw, Wybrands, Byl, Bekaan usw., hat man in der plattdeutschen Sprache treffende und humorvolle Beinamen gefunden. So sind Peiter Lootse, Klaas Brüll, Klaas Maat, Swarte Evert, Roelf -Hundje, Jan Buskohl, Tornmeeuw, Klaas Piepke, Steingaudsmettje, Minemöjke, Krullewopke einige Personenbezeichnungen, die jedem Borkumer geläufig sind.
An frostklaren Tagen sammeln sich die „Klootschießer" beim alten Leuchtturm, um in fröhlichem Wettkampf die mit Blei gefüllten Holzkugeln über den hartgefrorenen Weg zum Ostlande zu werfen. Es geht dabei um die Ehre der Siegermannschaft und um ein „lecker Koppke Tee" bei Bur Willm. Über das blanke Eis der Waterdelle gleiten in langen Strichen die Schlittschuhläufer auf ihren „Schövels", die jungen Kerls „krüzen" mit ihren „ Wichtern", oder „steertjen" in langen Reihen, während das Kindervolk auf der kleinen Bahn oder auf „Slooten" und ,,Kolken" herumtollt.
In dem seit 1830 bestehenden „Verein Borkumer Jungens“ e. V., finden sich die eingeborenen ledigen jungen Männer vom 18. Lebensjahr an zur Pflege alter Sitten und Gebräuche sowie des Gesanges zusammen. Mit dem Hochzeitstage verwirkt jeder seine Vereinsmitgliedschaft und wird nach herkömmlichem Zeremoniell ausgesungen mit dem Lied: ,,Schön ist die Jugend, sie kehrt nicht mehr!“
Wenn der traditionelle Weihnachtsball des Jungsvereins vorüber ist, wird am „Olljahrsabend'' das alle Jahr vom Männerchor zur Neige gesungen und das neue Jahr aus der „Neujahrspistole" begrüßt. Auf dem Glückwunschrundgang bei Verwandten und Bekannten gibt es dann „Brandewien mit Rosinen" und „Waveltjes." Am 2. Januar, dem „lüttje Neejahr", ist gemeinsamer Katerbummel zum Ostlande mit Dauerskat und „Natt und Drög".
Höhepunkte insularer Geselligkeit
Unvergeßliches Frühlingserleben
Auch das „Swinslachten" wird im Familienkreise zu einem Freudentag gestaltet; da erhalten die Kinder morgens eine „Swinebrügge“, d. i. Schwarzbrot mit Käse und Zwieback, und abends ersingen sie sich eine warme Wurstprobe, während sich die erweiterte Familiengemeinschaft am „Snittjebra" erfreut.
Die zahlreichen Vereine halten nun in hergebrachter Reihenfolge ihre traditionellen Winterfeste, und ihre sportlichen, musikalischen und schauspielerischen Darbietungen sind Höhepunkte insularer Geselligkeit.
Wenn aber die Tage länger werden, wenn die Osterfeuer der Kinder auflodern, wenn nach langer Winterzeit die Frühlingsstürme den Himmel wieder blankgefegt haben und die Insel ihr schönstes Kleid angezogen hat, wenn die Kiebitze über den Außenweiden schaukeln und die Luft voller Vogellaut ist, dann stellen die Borkumer Jungens den Maibaum auf. Der Baum, der mit seinen Querbalken dem Mast einer Brigg gleicht, wird mit frischem Grün geschmückt. Den Höhepunkt bildet sein Aufstellen, wenn in seinem Mastkorb ein „besorgter" Hahn verstaut wird, der dort mit einer dreitägigen Diät seinen Frühlingsgefühlen entsagen muß. Mancher übermütige Schabernack wird am nächsten Morgen belacht, wenn zum Beispiel wutschnaubende Viehhalter ihre von den Jungs während der Nacht aus dem ganzen Dorf zusammengeholten Mistkarren wieder heraussuchen müssen. Aber der Ärger verfliegt schnell wieder, wenn die Jungens und Mädchen in ihrer schmucken Inseltracht um den Baum tanzen und singen.
Nun ist es am schönsten an der Wattenseite der Insel und in den bunten Dünendellen. Da werden die Pferde angespannt, und die ganze Familie fährt in dem hochrädrigen Wagen zum Steerenkklipp, wo man den ganzen Tag in der Natur verbringt. Diese ,,Pingsterjagen" sind für Jung und Alt ein unvergeßliches Frühlingserleben in der Stille und Schönheit unserer Heimatinsel, wenn auch mancher heftige Sonnenbrand noch tagelang dieses Erleben zu trüben versucht.
Der Mai ist gekommen, und mit ihm die „Schummelzeit", der große Hausputz für die Saison. Da wird weder mit Wasser noch Farbe gespart, ein großes Wettrüsten, bis alles blitzblank ist zum Empfang unserer Sommergäste.
Mögen sich trotz mancher Umstände unserer heutigen Zeit die vielen schönen Sitten und Gebräuche der Borkumer auch weiterhin erhalten und behaupten
Der Oldermann (1950 - Walter Dykmann) des „Vereins Borkumer Jungens"
Noch wird hier das alte, deftige Borkumer Platt gesprochen...