Südranzelgatt
Ein guter, waidgerechter Jäger geht nicht zur Jagd, um bloß ein Stück Wild, gleich welcher Art, zu erlegen und sich zu eigen zu machen, sondern auf seinen Pürschgängen in Wald und Feld hat er viel Gelegenheit, alles um sich her zu beobachten, sei es das Wild selbst oder etwaige ihm fremd vorkommende Pflanzen und Gewächse, die er sonst noch nicht wahrgenommen hat, wodurch sich seine Kenntnisse sehr bereichern werden. So ist es auch bei einer Bootsfahrt auf Seehundsjagd, zu welchem Zweck man sich einen Schiffer wählt, der in der Ausübung der Seehundsjagd viel gelernt hat.
Kommt da eines Tages ein Kurgast zu mir her und sagt: ,,Ich möchte gerne einen Seehund schießen. Können Sie mir dazu verhelfen?",,Jawohl, mein Herr! Aber ich habe die Seehunde nicht an der Strippe. Es ist mit der Seehundsjagd ebenso, wie mit der Jagd auf anderes Wild.",,Nun, gleichviel, wollen Sie morgen fahren?" „Ja!",,Dann müssen wir morgen früh um 6 Uhr mit dem Zuge zur Reede fahren, woselbst mein Boot im Hafen liegt. Sie müssen sich mit Lebensmitteln und Getränken für einen Tag ausrüsten und Kugelbüchse und Patronen nicht vergessen, denn diese sind bei der Jagd die Hauptsachen." Wir fahren also des Morgens um 6 Uhr zur Reede. Das Wetter ist schön bei heiterem Himmel und Ostwind. Nachdem wir in das Boot eingestiegen sind, wird der Motor angeworfen, und mit voller Kraft geht es hinaus in See.
Mit Kognak oder Doornkaat wird die Jagd angeblasen
Es ist gerade Hochwasser, sodaß die ganzen Sandbänke noch unter Wasser sind und auf der großen Wasserfläche nichts zu sehen ist, als die Inseln und die das Fahrwasser bezeichnenden Bojen. Für das Jagdrevier wählen wir heute das Südranzelgatt, weil bei etwa umlaufenden Winden sich dort Gelegenheit bietet, an mehreren Stellen jagen zu können. Es ist nämlich erforderlich, sich auf einer Seehundsbank anzulegen, wo der Wind vom Wasser auf die Bank zusteht, damit der im Wasser vor der Bank schwimmende Seehund keinen Wind vom Jäger bekommen kann, denn die Nase des Seehundes ist sehr scharf. Nach Verlauf einer guten Stunde sind wir in der Nähe der Seehundsbank eingetroffen. Das Boot wird an einer Stelle verankert, wo die Seehunde beim Aufsteigen auf die Bank nicht gestört werden. Allmählich ist die Ebbe eingetreten und hier und da kommen die höchsten Stellen der Sandbänke zum Vorschein. Möwen ziehen vom Lande her, fallen auf diese Stellen ein, um ein zurückgebliebenes Fischlein oder einen Taschenkrebs als Äsung zu ergattern. Schwärme kleiner Schnepfenarten und Austernfischer fallen ebenfalls auf die Stellen ein und suchen sich als Äsung Würmer und anderes kleines Getier. Ab und zu sieht man einen Seehund schwimmen, der langsam und bedächtig der Stelle zustrebt, wo seine Bank liegt. Diese Zeit der Muße nützen wir aus mit dem Frühstück, welches durch einen Schluck Kognak oder Doornkaat gewürzt, und womit die Jagd angeblasen wird.
Alsdann heißt es, sich für die Jagd klar zu machen. Der Schiffer zieht einen Leinenanzug über und Schuhe und Strümpfe aus, wie auch der Jäger sich zu letzterem bequemen muß, um vom Boote aus durchs Wasser an die Bank zu gelangen. Die Seehundsbank muß bald vom Wasser frei sein, denn einige Hunde haben sich schon dort versammelt und zeigen Kopf und Hinterflossen aus dem Wasser, wobei der Bauch auf dem Sand aufliegt und der Rücken noch überspült wird. Endlich ist das Wasser so weit gefallen, daß die Hunde auf der trockenen Bank liegen und man sie vom Boote aus mit dem Fernglas unterscheiden und zählen kann. Manchmal sind es zehn Stück, manchmal sogar 30-50, je nachdem, ob sie öfter an der Stelle bejagt wurden. Wir steigen jetzt aus dem Boote, um nach einem Marsch von 500-1000 m zu den Hunden zu gelangen. Der Jäger hat seine Waffe geladen, und in ruhigem Tempo marschieren wir direkt auf die Seehunde los. Beim Näherkommen merkt man schon, daß sie Gefahr wittern, denn sie werden unruhiger, sodaß die letzten 100-200 m im Laufschritt zurückgelegt werden müssen. Auf einmal stürzen die Hunde sich ins Wasser, wir eilen schnell vor und legen uns an der Stelle auf die Bank, wo die Hunde vorher lagen. Vor uns im Wasser zeigen sie die Köpfe wieder. Der Schiffer macht die Bewegungen nach, die der Seehund macht, wodurch einige wieder der Bank zustreben. Der Jäger liegt mit schußbereitem Gewehr, und sobald ein Hund in der Nähe der Bank auftaucht, kracht der Schuß. Und der Schuß saß. Der Schiffer springt schnell mit der Stange ins Wasser und holt den Seehund auf die trockene Bank. Alsdann legen wir uns wieder an, um evtl. noch einen zweiten Seehund zu erlegen, was nach geraumer Zeit auch gelingt. Dann geht es in gehobener Stimmung, mit den beiden Hunden im Schlepptau, über die Bank zum Boote zurück. Nach Verlauf einer Stunde sind wir im Hafen und fahren mit dem nächsten Zuge nach Hause, nachdem bei dem Wirt Aikes auf der Reede noch die Hunde gut begossen und totgetrunken wurden.
Herman Akkermann, sen.
Ein Gang durch das Inselmuseum gibt so manche Auskunft über die Eigenart der Inselnatur und läßt manches längst Vergangene wieder lebendig werden...