Untergang der Teeswood
Borkums Tragik und seinem heldenhaften Rettungswerk
Borkum - Insel ein Vorposten in der wilden Nordsee...
Seit Urzeiten ist die Insel ein Vorposten in der wilden Nordsee. Mag sie Wochen und Monate sich ruhig halten und lieblich scheinen oder doch nur maßvoll ungebärdig: ihre Fluten sind immer bereit, unter den Stürmen emporzuwüten zu rollenden Bergen und gischtendem Branden der Vernichtung.
Man betrachte die Wanderung der Inseln, ihr Versinken und Neuerstehen, das Schwinden so manchen Strandes; man erfasse die wild zerklüfteten Gestade des Festlandes mit den tief gerissenen Buchten: es ist das Werk des Rasens dieser See. Man sehe die wandernden Sände, deren mancher sich heranschiebt an die Inseln und zum breit schützenden Strande wird; man überblicke die weiten Gelände fruchtbarer Marsch an der Küste: sie sind von derselben See hochherzig geschenkt.
Sie birgt und äußert alle Urkraft entstehenden, wachsenden Lebens, die Nordsee, und sie birst zugleich vor Gewalttätigkeit. Herrlich schön ist sie wie ein mit allen Sinnen begehrtes Weib und steckt doch voller Abgründigkeit. Sie nimmt und gibt, wie es ihr gefällt, und Geben und Nehmen ist ihr eins. So wenig sie sich endgültig beherrschen läßt von Geist und Technik des Menschen, so unberechenbar bleibt sie, und wer für heute ein Opfer abringt, weiß nie, ob sie morgen nicht doppelten Tribut von ihm fordert. Ihr Wesen ist Dämonie...
Die Borkumer wissen es seit vielen Generationen. Da ist keine der eingesessenen Sippen, die nicht zu klagen hätte um den Verlust lieber Angehöriger, die - in der Blüte der Jahre - ihr von der Nordsee genommen worden sind. Das ist so noch heute. In älterer Zeit aber, als Seefahrt ein Haupterwerb der Insulaner war, sind nicht selten alle Männer einer Familie von der See ausgerottet worden.
Wir selbst sind Jahrelang zur See gefahren und haben die See in unruhiger Weise miterlebt; bis 14-15m Wellenhöhen - und zollen hier unseren Respekt gegenüber der Besatzung der SRB "Borkum" hinsichtlich dieser Rettungsaktion
Dreizehn Männer der Hölle entrissen
Sturmnacht vom 28-. zum 29. November 1951
Jahr für Jahr erleben die Borkumer neu das Leid, das die Nordsee bereitet. Zwar nicht in dem Maße mehr wie ehemals um die eigenen Männer und Söhne, wenn auch sie noch oft genug gefährdet sind und mancher von ihnen sein Leben in den Fluten lassen muß. Aus dem Wissen um eigenes Weh beklagen sie die fremden Opfer, die die tückische See bei ihrer Insel fordert, kaum weniger als die dahingerafften Söhne ihres Blutes.
Groß wie ihre Trauer aber ist ihre Freude, wenn es gelingt, die von der kalten Würgerin Umtobten und schon dem Tode Verfallenen zu retten. Das Heldenstück der Rettung von dreizehn Männern der „Teeswood" in der Sturmnacht vom 28-. zum 29. November 1951 ist zu einem solchen Freudenfest geworden.
Sie war ein kleiner britischer Dampfer, die „Teeswood", keine 900 BRT groß, aber schon über fünfunddreißig Jahre alt. Sie sollte Eisenschlacke nach Emden bringen. Im jener Nacht war die See böse aufgewühlt. Das immer weiter stürzende Barometer kündete Verschlimmerung des Wetters an. Ein Orkan war zu befürchten. Ein Lotse konnte bei dem schweren Wetter nicht übergesetzt werden vom Lotsendampfer. Um aber ein anderes Schiff, das nur mit Ballast beladen war und sich in der schweren See kaum halten konnte, schnell in das ruhigere Wasser hinter Borkum zu geleiten, dampfte der Lotsendampfer diesem Ballastschiff voraus. Die „Teeswood" folgte in einigem Abstand. In einer der peitschenden Hagelböen verlor die Führung der „ Teeswood" jedoch das wegweisende Licht des Lotsendampfers aus der Sicht. Da lief das Schiff auf eine Bank der zur Möwensteertgruppe gehörenden Sände. Die im wachsenden Sturm tosenden Grundseen des noch aufflutenden Wassers hohen den Dampfer und schmetterten ihn stürzend auf die Untiefe; daß er zerbrach. Chaotisch entfesselt hauten in der wilden Bewegung die an den Masten hängenden Ladebäume, Ketten und Trossen funkensprühend umher. Wasser stürzte in die Räume. Das Schiff war verloren...
Aber die Besatzung - fünfzehn Menschen... !
Die schweren Grundseen wälzten sich donnernd, brüllend, schäumend über das Wrack. Sie rissen alles über Bord, was sich bewegen ließ. Bis zur Höhe der Kommandobrücke schlugen sie darüber hin. Dort oben hin und auf das erhöhte Vorschiff hatten die Männer sich gerettet. Gerettet...? - Den Tod vor Augen funkten sie ihr SOS in die unheimlich heulenden Lüfte: ,,Save our Souls! - Rettet unsere Seelen, unser Leben ... !"
Die Küstenstationen fingen den Ruf auf, leiteten ihn weiter an die Stationen der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Auch die Lotsendampfer vor der Ems, der deutsche und der holländische, erhielten die Nachricht, und ebenso der Bergungsschlepper „Seefalke". Sie dampften hin zu der Stelle des Unglücks. Aber zu hoch lag die „Teeswood" auf der Sandbank. Die tiefgehenden Schiffe konnten nicht herankommen, ohne selber zu stranden. Sie vermochten die von der mordgierigen See umtobten Menschen nicht zu retten.
Endlich näherte sich auch die „Borkum", das Boot der Rettungsstation der Insel. Sogleich nach Empfang der Unglücksnachricht hatte sie den Hafen verlassen. Mit aller Kraft arbeiteten die Motoren gegen die entfesselte Hölle. Aber die Kraft dieser Motoren reicht nur für eine Fahrt von sechs Seemeilen in der Stunde [1. Seemeile = 1,852 km \ 11 Km/h]. Selber ein Spielball der Wogen torkelte die „Borkum" durch die bis zum Grunde aufgewühlten Wasser, durch die mit Orkangewalt peitschenden Regen- und Hagelböen. Meter um Meter mußte sie den feindlichen Elementen abringen. Nüchtern technisch betrachtet war das Boot viel zu schwach für die Aufgabe jener Nacht. Wann aber wäre je die Technik allein ausschlaggebend, wenn es einer großen Tat bedarf...? Die besseren „Motoren" auf der „Borkum" waren die unerschrockenen Männerherzen und das seemännische Können der drei von der Besatzung: des Vormannes Kapitän Wilhelm Eilers und seiner Helfer Folkert Meeuw und Christoph Müller.
Sie kamen, diese drei Borkumer, und sie sahen, es war gefährlich, sich dem brandend umtosten Wrack zu nähern. Zwar geht ihr Boot kaum anderthalb Meter tief, in diesen Grundseen aber konnte es trotzdem auf den harten Grund der Bank geschlagen werden. Der Stunde nach war bereits Ebbe eingetreten. Nur das Wüten des Nordwestorkans hielt die Fluten höher gestaut. Wäre das Werk mit der Raketenleine und der Hosenboje auf weite Distanz zu schaffen gewesen, sie hätten diese Rettungsmittel eingesetzt. Das war jedoch nicht möglich bei dem Toben. Wollten sie retten, mußten sie heran an das Wrack - mußten sich in die für sie selber tödliche Gefahr begeben, am Wrack oder auf dem Grunde zu zerschellen. Doch das überlegten sie gar nicht. Natürlich wollten sie retten - dazu waren sie in ihrer Nußschale ja gekommen...
Im Lichte der starken Scheinwerfer, die der Bergungsschlepper „Seefalke“ auf das Wrack gerichtet hielt - er fuhr dazu so nahe wie zu verantworten an die Untiefe heran - versuchte die „Borkum" Iängsseit der „Teeswood“ zu kommen. Sie Lief dazu an. Es geriet nicht. Sturm und See schleuderten sie zurück oder an dem Wrack vorbei. Wieder, immer wieder, wohl zwanzigmal setzten die Männer der „Borkum" dazu an. Mehr als eine Stunde verging darüber. Die auf der Brücke und auf dem Vorschiff zusammengedrängten Schiffbrüchigen verfolgten, zwischen Todesfurcht und Hoffnung schwankend, mit starren, brennenden Augen das Mühen. Aus ihren Herzen stiegen Gebete auf, sie möchten den Versuch nicht als aussichtslos aufgeben, die tapferen Männer des kleinen Bootes. Da endlich, endlich schien es zu gelingen, das Boot an das Vorschiff heranzuführen, da rollte eine See heran, warf es mit Gewalt gegen das Wrack und ließ es sogleich wieder abtreiben, vorbei am Wrack - aber der Augenblick hatte genügt, einen der Schiffbrüchigen, der den Sprung wagte, aufzufangen.
Nun war Bresche geschlagen. Aber die „Borkum“ war beschädigt nach dem krachenden Anprall, der sie bis in den Kiel erschüttert hatte. Die starke Ruderanlage auf dem oberen Kommandostand war zersplittert wie Glas. Was sonst kaputt war, ließ sich im Chaos der Stunde nicht übersehen. Doch die Motoren liefen, das Boot schwamm und gehorchte dem Druck des Ruders. Das genügte den Männern der „Borkum", das fast Unmögliche weiter zu betreiben. Wieder richteten sie den Kurs auf das Wrack. Mit jedem neuen Anlauf, den das Boot unter der kundigen Hand Käppen Eilers wagte, glich es sich mehr dem Rhythmus der tosend rollenden Grundseen an. Jeder Anlauf ließ die Männer aber auch weniger an ihre eigene Sicherheit denken. Immer wieder, immer tollkühner, immer rücksichtsloser, gegen sich selbst stürzten sie sich und ihr Boot gegen das sturmumbrüllte, von See und Sand triumphierend umsprühte, umrissene Wrack. So gelang es in Stunden um Stunden währenden Ketten neuer Anläufe, die Schiffbrüchigen zu bergen - bis auf zwei...
Die Schiffbrüchigen mußten, wenn es Eilers gelang, das Boot für Sekunden auf der Höhe des Wracks zu halten, einzeln oder zu zweit überspringen. Folkert Meeuw und Christoph Müller, in ihrer Bereitschaft selber von der See, umtost, umspült und jeden Augenblick gefährdet, über Bord gerissen zu werden, fingen die Springenden auf und brachten sie im Inneren des Bootes in Sicherheit. Dem Koch und dem Steward der „Teeswood", dem Japaner Gunnei aus Mon und dem Neger Caffee aus Mansack in Südafrika, war der rettende Sprung nicht vergönnt. Eine schwere Grundsee wälzte sich über Wrack und Boot, als ihre Zeit zum Springen gekommen war, und riß beide mit sich in die Tiefe. Dieselbe See riß auf der „Borkum" Christoph Müller von seinem Platz an der Reling, schleuderte ihn gegen den Kommandostand und verletzte ihn schwer. Er lag nachher wochenlang im Krankenhaus...
Die Tat der Rettungsmänner von Borkum in jener Novembernacht wird nie vergessen werden. Dreizehn Menschen - ohne den todesverachtenden Mut der Borkumer an die Nordsee, die Mordsee, Verlorene - sind gerettet worden. Das war seit vielen Jahren die schwerste Einsatzfahrt an der ganzen deutschen Küste. Wie schwer sie war, wie hart vor dem eigenen Untergang die drei und ihr Boot standen, dafür gibt es ein paar kleine, aber schwerwiegende Zeugnisse:
„Ich glaube nicht, Käppen, daß ich es gewagt hätte, was Sie für uns riskierten“, sagte später der gerettete englische Kapitän zu Eilers. Seine Leute nickten dazu. Und Eilers erwiderte: ,,Mir war wohl die Gefahr bewußt, aber ich erkannte sie nicht im ganzen Umfang. Ich zweifle selber, ob ich das, was ich in der Nacht tat, bei Tageslicht getan hätte, - oder hätte tun dürfen...“ Und auch seine Kameraden - sie 'haben alle drei Frauen und Kinder - nickten dazu. - Der britische Verband der Schiffsoffiziere und -ingenieure schrieb in seinem Dankschreiben an Eilers: ,,Übereinstimmend lautet das Urteil: ohne euren heroischen Einsatz wäre heute große Trauer in dreizehn britischen Familien." - Bundespräsident Prof. Heuß aber zeichnete die drei von der „Borkum" aus mit goldenen und silbernen Medaillen.
Borkum, die Insel, jubelte. Man weiß dort, was es heißt, der tobenden Nordsee Opfer, die ihr bereits verfallen sind, abzuringen...
Solange Schiffe fahren, wird es auch Frauen und Männer geben, die auf das Signal „Schiff in Not!“ mit ihren Seenotrettungsbooten und Seenotrettungskreuzer auslaufen, ungeachtet der Gefahr. Die Seenotretter der DGzRS haben diese Frauen und Männer, und haben diese Seenotrettungsboote und Seenotrettungskreuzer. Die Seeleute aber, die auf den Seenotrettungsbooten und Seenotrettungskreuzern fahren, sind Frauen und Männer, die freiwillig und ohne Lohn, bzw. als festangestellte Rettungsleute, ihr Leben wagen im Dienst der Menschlichkeit. Auch die für die Durchführung des Rettungswerkes erforderlichen Mittel werden ausschließlich durch freiwillige Beiträge und Spenden aufgebracht....
Billerbook Börkum
Quellennachweis: Erarbeitet durch Schönbeck-Borkum | Untergang der Teeswood | Arnold Beirich
„Eine stillschweigende unpathetische Solidarität der Völker kommt in der Arbeit der Rettungsmannschaften zum Ausdruck - ein Gebaren der Menschlichkeit, das in der Zerrissenheit der Völker immer eine bindende Kraft besessen hat”. (Bundespräsident Professor Dr. Theodor Heuss Schirmherr der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger)
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