Die Entwicklung des Bades und ihre Auswirkung auf die Tierwelt der Insel Borkum
Das 125jährige Jubiläum des Nordseeheilbades Borkum
Das 125jährige Jubiläum des Nordseeheilbades Borkum soll uns heute Anlaß sein, aus faunistischer Perspektive einen kurzen Blick auf den Werdegang des Bades und die damit verbundenen Veränderungen auf die Tierwelt der Insel zu werfen. Wie sich im folgenden zeigen wird, sind hierbei nicht nur negative Veränderungen festzustellen, im Gegenteil, bisher ergibt sich eine weitaus positive Bilanz, die wir ziehen können.
Wir sind hierbei in der angenehmen Lage, uns im Falle Borkum auf fast lückenloses, authentisches Schrifttum stützen zu können.
Droste-Hülshoff, F. v., einer der ersten Badegäste Borkums, hat in längeren Jahren hier beobachtet und gibt uns in seinem Buch „Die Vogelwelt der Insel Borkum" (1869 - Münster) ein getreues Bild der Verhältnisse und der hier vorkommenden Vogelarten Borkums. Zu seiner Zeit brüteten auf Borkum: - (a) = ausnahmsweise - 1. Star, 2. Stieglitz (a), 3. Bluthänfling, 4. Haussperling, 5. Feldsperling, 6. Haubenlerche (a), 7. Heidelerche, 8. Feldlerche, 9. Baumpieper, 10. Wiesenpieper, 11. Schafstelze, 12. Bachstelze, 13. Gelbspötter, 14. Domgrasmücke (a), 15. Steinschmätzer, 16. Zaunkönig (a), 17. Rauchschwalbe, 18. Mehlschwalbe, 19. Mauersegler, 20. Kuckuck, 21. Stockente, 22. Krickente,23. Knäkente, 24. Brandente, 25. Kiebitz, 26. Sandregenpfeifer, 27. Seeregenpfeifer, 28. Alpenstrandläufer, 29. Kampfläufer, 30. Rotschenkel, 31. Säbelschnäbler, 32. Austernfischer, 33. Flußseeschwalbe, 34. Küstenseeschwalbe, 35. Zwergseeschwalbe, 36. Silbermöwe und 37. Wachtelkönig.
Seinen interessanten Schilderungen können wir entnehmen, daß damals der Fremdenverkehr in den Anfängen steckte, daß die zweigeteilte Insel (Ostland - Westland) im sogenannten „Tüskendörgebiet" in diesen Jahren durch einen Wall geschlossen wurde. Sowohl West- als auch Ostland bestanden nur aus Sanddünen, in den Dünentälern spärliche Vegetation mit Buschweide u. ä., sowie einzelnen Gestrüppdickichten (Sanddorn). Auf der Wattseite hatten sich mehr oder weniger umfangreiche Salzwiesen (Andelwiesen) entwickelt. Auf dem Westland befanden sich nur zwischen dem alten Deich und dem Dorf Heuwiesen, die die wirtschaftliche Grundlage der Insel-Bauern darstellten. Vor dem alten Deich erstreckten sich ebenfalls feuchte Salzwiesen (Außenweide), die von Prielen und Gräben durchzogen wurden.
Größere Häuser, Fremdenpensionen oder Hotels gab es noch nicht, die Windschutz für Bäume und Sträucher geboten hätten. Hierdurch mangelte es an klimatisch günstigen Kleinbiotopen, woraus sich auch erklärt, daß fast ausschließlich Seevögel und nur die robusteren Arten der Singvögel hier existieren konnten.
Mit dem Aufschwung des Badelebens änderte sich dies grundlegend. Größere Pensionen und Hotels entstanden, in deren Windschatten Ulmen und Linden usw. gediehen. War es doch schöner Brauch geworden, bei jedem Haus Bäume zu pflanzen, Gärten mit Sträuchern und Hecken und später kleine Parks zu schaffen. Umfangreiche Strandbefestigungsarbeiten durch Buhnen und Strandmauer schützten den Ort und die Dünen vor den zerstörenden Kräften des Meeres bei Stürmen oder Sturmfluten. Die Sanddünen wurden durch Bepflanzung festgelegt. In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts entstanden, dank der unermüdlichen Tätigkeit des Rektors Scharphuis und seiner Schüler, die ersten geschlossenen Erlen-Bruch-Waldungen, die mit offenem Birkengelände und mit eingestreuten Horsten von Kiefer und Blautanne durchsetzt sind. Wir finden sie heute im Landschaftsschutzgebiet „Greune-Stee" und im Naturschutzgebiet „Waterdelle" wieder. Eine weitere Verbesserung brachte allerdings der Ausbau der Seefestung mit sich, da die Bunkeranlagen durch Baum- und Buschanpflanzungen getarnt wurden (s. ,,Coronel", Woldedünen, Reede usw.).
So war Borkum zur „Grünen Insel" geworden. Nach dem Bau des Seedeiches - im Jahre 1934 als Notstandsarbeiten - entstanden weitere ausgedehnte Weideflächen mit Wasserläufen. Der Sommerdeich bis zum „Steerenklipp" trug auch in dieser Gegend wesentlich zu dieser Entwicklung bei. Durch diese landschaftlichen Veränderungen boten sich vielen neuen Vogelarten günstige Nist- und Nahrungsbiotope, die vorher nicht vorhanden waren.
Es kann den Beobachter also nicht verwundern, daß sich Prof. J. Peitzmeier bei seinen Beobachtungen in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts eine stark veränderte Vogelwelt darbot und die Anzahl der nistenden Arten sich inzwischen verdoppelt hatte. (1961 Münster, ,,Die Brutvogelfauna der Nordseeinsel Borkum. Ihre Entwicklung in den letzten 100 Jahren." Abh. Landesmuseum Naturkunde zu Münster, 23., 1961 Heft 2).
Der Säbelschnäbler (Recurvirostra avosetta) brütet seit 1948 wieder auf Borkum.
In dieser wissenschaftlichen Abhandlung führt Peitzmeier als Brutvögel auf: (a) = ausnahmsweise, (u) = unregelmäßig).
1. Rabenkrähe, 2. Nebelkrähe (a), 3. Star, 4. Grünfink, 5. Stieglitz (a), 6. Bluthänfling, 7. Birkenzeisig (a), 8. Fichtenkreuzschnabel (a), 9. Buchfink, 10. Haussperling, 11. Feldsperling, 12. Goldammer, 13. Rohrammer, 14. Haubenlerche, 15. Feldlerche, 16. Wiesenpieper, 17. Schafstelze, 18. engl. Schafstelze, 19. Bachstelze, 20. Kohlmeise, 21. Blaumeise, 22. Neuntöter, 23. Grauschnäpper, 24. Fitis, 25. Feldschwirl, 26. Schilfrohrsänger, 27. Teichrohrsänger, 28. Gelbspötter, 29. Gartengrasmücke, 30. Domgrasmücke, 31. Klappergrasmücke, 32. Singdrossel, 33. Amsel, 34. Steinschmätzer, 35. Braunkehlchen, 36. Gartenrotschwanz (u}, 37. Hausrotschwanz (a), 38. Zaunkönig, 39. Rauchschwalbe, 40. Mehlschwalbe, 41. Kuckuck, 42. Sumpfrohreule, 43. Turmfalke, 44. Rohrweihe,. 45. Wiesenweihe, 46. Stockente, 47. Krickente, 48. Knäkente, 49. Spießente, 50. Löffelente, 51. Brandente, 52. Hohl¬taube, 53. Ringeltaube, 54. Türkentaube, 55. Kiebitz, 56. Sandregenpfeifer, 57. Seeregenpfeifer, 58. Kampfläufer, 59. Säbelschnäbler,60. Uferschnepfe, 61. Groß-Brachvogel, 62. Bekassine, 63. Austernfischer, 64. Flußseeschwalbe, 65. Küstenseeschwalbe, 66. Zwergseeschwalbe, 67. Silbermöwe, 68. Sturmmöwe, 69. Lachmöwe, 70. Wasserralle, 71. Teichralle, 72. Bleßralle, 73. Rebhuhn, 74. Fasan, 75. Wachtelkönig = 75 Arten.
Inzwischen hat sich diese Liste in den letzten Jahren schon wieder erweitert. Durch das Borkumer Ornithologen-Team, bei verstärkter Beobachtungstätigkeit, wurden als neue Brutvögel ermittelt und der Brutnachweis erbracht: (s. Dr. Schoennagel; E., Orn.-Mitt. 24 [1972] Heft 7 - S. 135-153, ,,Die Vogelwelt der Nordseeinsel Borkum im lichte säkularer Bestandsveränderung", und Dr. Schoennagel, E., Orn.-Mitt. 26 [1974], S. 191-212, ,,Bemerkenswerte Brut- und Gastvögel auf Borkum 1972-1974").
1. Eiderente (1967), 2. Waldohreule (1969), 3. Kornweihe (1969), 4. Schwanzmeise (1971), 5. Bergfink (1971), 6. Rotkehlchen (1971), 7. Mauersegler (1962/63) (u), 8. Uferschwalbe (1967), 9. Heckenbraunelle (1962), 10. Mönchsgrasmücke (1964), 11. Waldlaubsänger (1968), 12. Wacholderdrossel (1969), 13. Brandseeschwalbe (u/a), 14. Sperbergrasmücke (1973/74) = 14 neue Arten, zusammen also 89 Arten. Brutverdacht besteht für Zilp-Zalp und Trauerschnäpper!
Daß einige der von Droste-Hülshoff aufgeführten Arten nicht mehr in Erscheinung treten, hat meist andere Ursachen als die Badwerdung Borkums.
Auch die Zugvogelwelt, die Borkum und das Borkumer Watt als Rast- oder Überwinterungsplatz im Herbst und Winter bevölkert, ist erhalten geblieben, wie die Zählergebnisse der internationalen Watt- und Schwimmvogelzählungen zeigen: am 2. 9. 1974 über 250 000 Exemplare Wattvögel und Limikolen und am 14. 10. 1973 ca. 16 000 Wildgänse und Wildenten (s. Zeitschr. WATT). Eine vorübergehende Störung bedeutet der im Gang befindliche, unerläßliche neue Deichbau am Sommerdeich, der für die Sicherheit Borkums, der Einwohner und der Gäste des Bades unabdingbar ist. Wir hoffen aber, daß hierdurch keine bleibende und nachhaltige Veränderung der Vogelwelt hervorgerufen wird. Der heutige überlastete Mensch unserer Großstädte sucht als Erholungsraum die unberührte, reich belebte Natur in steigender Zahl. Borkum bietet ihm dies in überreichlichem Maße! Leider hat dieser Drang in die Natur auch negative Aspekte. Wir können also mit diesem kostbaren Gut - Natur - in Zukunft nicht mehr so bedenkenlos freizügig verfahren, wie dies in der Vergangenheit möglich war.
Wollen wir uns selbst und unseren Nachfahren die Freude am Erlebnis der belebten Natur erhalten, werden sich einige kleine Lenkungsmaßnahmen und Koordinationen der Interessen nicht umgehen lassen. Aus diesem Grunde legen wir für unsere Gäste Wanderwege an und werden einige wichtige Keimzellen zur Regenerationsmöglichkeit unserer Insel- Fauna unter Naturschutz stellen müssen, damit andauernde Beunruhigung der Tiere nicht den Bruterfolg verhindert.
Sie, als Gast unseres Bades, werden diese kleinen Beschränkungen sicherlich begrüßen, wenn Ihnen hierdurch auch in der Zukunft die Freude an der schönen, belebten Natur, die Urlaubsfreude und Erholung in freier Natur, gewährleistet werden kann und Sie mit Ihren Kindern Tiere beobachten können, die es anderwärts kaum noch gibt.