Meeresleuchten Borkum
Licht von innen
Ich wusste nicht, um was es ging. Es war Sommer, aber die See war noch sehr kühl. Es war Nacht und man sagte mir, jetzt unbedingt mit zum Baden kommen zu müssen: es sei Meeresleuchten. Ich war eher abgeneigt, überwand mich aber. Meine Beine tauchten mit jedem Schritt tiefer in die Kälte ein, die ich geschehen ließ. An den Knien und an den Füßen bildeten sich merkwürdigerweise schwache Lichthöfe, die kleine Kapseln freizugeben schienen und die, wenn ich ein Bein aus dem Wasser hob, an den Unterschenkeln herab trieften. Als ich bis zum Bauch in das Wasser eingedrungen war und mit den Händen darin spielte, konnte ich mit jedem Griff Lichtfiguren malen. Ich schöpfte Wasser über den Oberkörper. Es schien sich im Herunterlaufen am Körper zu einzelnen Lichtpunkten
zu verdichten. Erst jetzt bemerkte ich, dass die kleinen Schüttungen der sich am Strand brechenden Wellen aufblitzten.
Dasselbe war bei den Schwimm- und Paddelbewegungen unter Wasser festzustellen. Das Wasser reagierte auf Bewegung mit Licht. Das war eine zunächst etwas unheimliche, dann wunderbare Erscheinung der Natur, die unweigerlich in ihren Bann zog. Alle spielten und planschten und wir schienen in all unseren Bewegungen nur durch den Wunsch beseelt, das Phänomen auf seine Möglichkeiten hin auszutesten.
Meeresleuchten wird durch den begeißelten Einzeller Noctiluca miliaris oder auch scintillans verursacht. Er gehört zu den Dinoflagellaten, deren Außenhaut gepanzert ist. Die Geißel, das so genannte Flagellum, ist sozusagen eine Art Prototyp der Muskelzellen und stellt daher eine Urform organismischer Bewegung dar. Bei Noctiluca ist sie ein Steuerungsorgan, das die absolute Hilflosigkeit dieses Tieres, seine Ausgeliefertsein an das umgebende Medium, in eine relative verwandelt. Man weiß allerdings bis heute nicht, worin der eigentliche Vorteil seiner Bewegungsmöglichkeit besteht, zumal der Tentakel sehr klein ist und mit Vortrieb nur noch untergeordnet zu tun haben dürfte. Sein klebriges Äußeres hat eher mit dem Fang von Nahrungspartikeln zu tun, denn dieser Einzeller ist trotz seines pflanzlichen Zellaufbaus ein heterotropher, ein fressender Organismus. Die mit der Geißel festgehaltenen, im Wasser schwimmenden, kleinen Lebewesen werden durch langsame Schlagbewegungen zur Mitte des Zellkörpers befördert, wo ein besonderes Areal zur Nahrungsaufnahme ausgebildet ist. Das eigentlich interessante ist allerdings die Lichtreaktion von Noctiluca, die durch einen mechanischen Reiz ausgelöst wird.
Die Art und Weise dieser Lichterzeugung auf kaltem Wege-also nicht durch Heiß-glühen - ist in der Tierwelt gar nicht so selten. Mehr als dreißig Mal wurde diese Methode der Kommunikation unabhängig voneinander im Laufe der Evolution erfunden. Sie beruht immer auf einer chemischen Reaktion, die dazu führt, dass Elektronen in bestimmten Atomhüllen zeitweilig in einen angeregten, höher energetischen Zustand übergehen, und bei Rückfall in den unangeregten Zustand Licht aussenden. Chemisch gesprochen handelt es sich um sogenannte Luciferine, die im Leuchtvorgang durch Luciferasen oxidiert werden. Das Leuchten ist also chemisch ein Oxidationsvorgang.
Leuchtorganismen gibt es vor allem im Meer. Neben dem sommerlichen Meeresleuchten der Nordsee gibt es das Meeresleuchten von Krebsen, Rippenquallen, Salpen, Kopffüßlern und Fischen vor allem in den warmen Breiten. Und dann gibt es noch das etwas hinterhältige Leuchten der Angler- und Laternenfische der Tiefsee - siehe „Findet Nemo!" An Land leuchten primitive Insekten (Collembolen), Larven und Puppen einer Pilzmücke, einige Tausendfüßler, sowie natürlich die Leuchtkäfer, die wir als Glühwürmchen bezeichnen. Auch sie sind wundersam, und von behütenswerter Schönheit, aber immer vereinzelt und daher nicht so überwältigend wie das Perlen der Nordsee beim Meeresleuchten.
Im Sommer vermehrt sich die stattliche, 0,3 bis 0,6 Millimeter große Alge an der Nordsee mit zunehmenden Wassertemperaturen. Irgendwann im Laufe des späten Juli wird ein Maximum der Produktion erreicht. Die Zellen reichern sich, da sie leichter als Wasser sind, an der Oberfläche an, wo sie zu orangefarbenen Teppichen, den so genannten „Roten Tiden" zusammengespült werden. Kurze Zeit später beginnt ein Massensterben und innerhalb eines Tages verlieren die Algen ihre Farbe, sinken ab und hinterlassen nur noch eine leichte Fettspur auf der Wasseroberfläche.